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Reisebericht Rügen
Flugzeuge im Bauch – ein Wochenend-Trip zu den Störtebeker-Festspielen auf Rügen
Samstagmittag in Strausberg, im Umland von Berlin. Vor dem strahlendblauen Himmel modellieren Wolken aus Watte kunstvoll Figuren in die Luft. Die warmen Sonnenstrahlen erinnern uns daran, dass immer noch Hochsommer ist. Laut unseres Piloten ist heute bestes Flugwetter. Wir sitzen auf einer Bank und lassen mittagsdösig unsere Blicke auf der vor uns liegenden Start- und Landebahn des kleinen Privatflugplatzes ruhen.
Allmählich jedoch verschwindet der Anflug von Müdigkeit: In immer kürzeren Abständen landen Kleinflugzeuge – oder solche, die es scheinbar noch werden wollen. Ich traue kaum meinen Augen, was da alles aus der Luft wieder auf den sicheren Boden zurückkehrt. Und offensichtlich sind diese teilweise merkwürdig anmutenden Flugobjekte in der Lage, so weite Strecken zu fliegen, dass sie aus unserer Sicht entschwunden waren. Begriffe wie das gute alte „Fliewatüt“ oder auch Berichte von den „Tollkühnen Männern in ihren fliegenden Kisten“ kommen mir in den Sinn.
Langsam rückt auch unsere angekündigte Abflugzeit näher. Inzwischen beobachten wir alle gespannt das vor uns stattfindene Geschehen: Lassen Schlenker im Landeanflug erkennen, wie viele Windböen und Turbulenzen in den nächsten 1 1/2 Stunden unseren Mägen zu schaffen machen werden? Beruhigende Worte unseres Piloten mischen sich mit Fachsimpeleien neben uns sitzender Flugprofis – oder solcher, die es scheinbar noch werden wollen …
Da kommt sie, da kommt unsere Maschine rein! Eine weiß-blaue Cessna, viersitzig. Ist sie das? Nein, Fehlalarm, war doch nicht unsere. Nach und nach trudeln aber immer mehr Leute unserer Reisetruppe ein: Mit vier Flugzeugen soll es von Strausberg nach Ralswiek auf Rügen zu den Störtebeker- Festspielen gehen, einer Freiluft-Theateraufführung mit Episoden aus dem Leben des legendären Seeräubers Klaus Störtebeker. Ich bin sehr gespannt. Und aufgeregt. Mein Bauch fühlt sich an, als seien dort bereits mindestens vier Flugzeuge unterwegs. Doch es bleibt mir keine Zeit mehr, daran weitere Gedanken zu verschwenden. Unsere Maschine ist inzwischen gelandet, wir können sie übernehmen.
Der Hinweis des Piloten, nur das Nötigste an Gepäck mitzunehmen, wird jetzt verständlich. Der Gepäckraum unserer Cessna ist – sagen wir mal – sehr übersichtlich. Überhaupt ist alles im Flugzeug sehr platzsparend und wohl überlegt eingerichtet. Überraschend problemlos verstaut der Pilot zuerst unsere Taschen und dann uns im Inneren der Maschine. Kopfhörer auf, Verständigungsprobe und das Abenteuer „Fliegen“ kann losgehen. In mir gewinnt die pure Freude und Abenteuerlust überhand. „Delta-Echo-Kilo-Kilo-Siera.“ Der Pilot meldet uns über Funk startbereit. Freundliche Wünsche vom Tower verabschieden uns aus der Welt der Bodenhaftung. Die Cessna rollt an, beschleunigt und hebt bei einer erstaunlich langsamen Geschwindigkeit vom Asphalt ab. Es funktioniert wirklich, wir fliegen!
Der Blick aus dem Fenster zeigt, wie schnell sich die Erde in eine Spielzeugwelt verwandelt. Häuser werden zu Streichholzschachteln. Autos bekommen die Größe von Insekten. Windräder pieken wie Zahnstocher im Boden. Kühe sind wie hellbraune Sommersprossen auf den grünen Wiesen versprenkelt. Die Welt sieht so aufgeräumt aus! Wiesen und Felder bilden einen groß angelegten Flickenteppich, je nach Laune in streng rechteckigen oder auch kreativ gerundeten Formen angeordnet. Dunkle Waldflächen sind durchbrochen von hingeklecksten kleinen und größeren Seen. Straßen durchziehen das Kunstwerk und weben die überschaubaren Städte und Dörfer mit ein. Offensichtlich war hier ein einfallsreicher, verspielter Künstler an der Arbeit. Autobahnen und Kanäle zerteilen mit Messersschärfe das sich unter uns ausbreitende Gesamtwerk in stattliche Einzelteile. Unser Pilot macht uns auf Sehenswürdigkeiten und markante Orte aufmerksam: Das Schiffshebewerk in Niederfinow, Städte wie Prenzlau und Greifswald. Das wenigste davon ist für mich zu orten. Alles erscheint aus dieser Perspektive so fremd.
Das Fliegen in der kleinen Cessna gleicht dem Autofahren über eine leicht rumpelige, Kopfstein gepflasterte Straße. Nach Aussage des Piloten hat dies mit den Turbulenzen aufgrund unterschiedlich erwärmter Luftschichten zu tun. Und wirklich, je nach Flughöhe bewegen wir uns ruhig wie in einem luxuriösen Straßenkreuzer auf einer gut ausgebauten, glatt asphaltierten Landstraße dahin. Schließlich steigen wir noch etwas höher und berühren die Wolken. Der Impuls ist groß, die Hand auszustrecken, um einmal in diese bauschigen Wesen greifen zu können … Und dann der Hinweis des Piloten, am Horizont sei die Ostsee erkennbar. Hm, so so. Wenn er meint. Für mich ist da nichts erkennbar – oder sollte es das Glänzende dort vorne sein? Tatsächlich wächst die schimmernde Fläche weiter an, bildet mit der Landschaft komplett neue Muster. Wir nähern uns der Insel Rügen. Das unter uns liegende Wasser bietet dem Auge immer neue Farbkombinationen und Variationen: Helle Sandbänke, grünliche Färbungen, Wellen, die trotz der hochsommerlichen Temperaturen auf der Wasseroberfläche wie eingefroren scheinen. Segelboote schwimmen als blütenweiße Dreiecke auf dem großen dunklen Nass. Wie stecknadelkopfgroße leuchtende Pünktchen dümpeln Möwen auf der Ostsee.
Die Mitteilungen über Funk kündigen unsere baldige Landung auf dem Rügener Flughafen Güttin an. Mein Magen meldet sich wieder. Er will nur kundtun, dass er noch da ist. Vielleicht ist es auch eher mein Kopf, der in Frage stellen will, ob sich nicht bei der Landung rächen wird, dass ich mich so wagemutig als Fußgängerin über die sterbliche Welt erhoben habe? Aber nein. Ruhig und sicher werden wir von unserem Piloten wieder auf dem Boden der Tatsachen abgesetzt. Die Erde hat uns wieder.
Wie soll ich jetzt noch die Kurve kriegen, um den anderen Highlights dieses erlebnisreichen Wochend-Trips gerecht zu werden? Der sommerlichen Landschaft auf Rügen, der malerischen Kulisse im Freilufttheater Ralswiek mit den prächtigen Theateraufbauten am Großen Jasmunder Bodden, der professionell und gleichzeitig liebevoll inszenierten Theateraufführung mit dem faszinierenden Abschlussfeuerwerk, der stilvollen Unterbringung im 4-Sterne-Hotel Binz-Therme, dem nächtlichen Bad in der Mondschein beschienenen, samtigen Ostsee, der verschlafenen Atmosphäre beim morgendlichen Strandspaziergang, dem köstlichen Frühstücksbüffet, dem offenen Miteinander und der guten Stimmung unter den Mitreisenden. Nicht zu vergessen der Rückflug, mit dem erhabenen Gefühl, zunehmend – zumindest als Passagier – zu den Flugprofis zu zählen und vielleicht bald auch fachsimpelnd mit anderen auf der Bank an der Start- und Landebahn in Strausberg zu sitzen, um über die aufgescheuchten Flugneulinge zu lächeln, die tapfer ihre Aufregung unter Kontrolle zu bringen versuchen. Nicht alles lässt sich hier in Worte fassen.
Ich möchte daher an dieser Stelle nur jedem Bisher-noch-nicht-Mitflieger wärmstens empfehlen, sich auf das Erlebnis eines Fluges in einer dieser kleinen wundersamen Maschinen einzulassen. Und wenn es noch den Rahmen eines gut organisierten Wochenend-Trips mit klaren Sichtverhältnissen, einem lohnenden Ziel, netten Mitreisenden und einem fürsorglichen Piloten hat, springt vielleicht der Funke der Flugbegeisterung auch auf Sie über. Vorsicht, es besteht Ansteckungsgefahr!